RÜCKBLICK 2001
Seit
kurzem haben wir, das dumme Volk, es also schriftlich:
Nicht mehr 42 Rassen sind gefährlich, plötzlich
sind es nur noch 14. Einige verschwanden von der Liste, andere wurden
aufgrund von physiognomischen Ähnlichkeiten munter draufgesetzt: ein
lustiges Bäumchen- verwechsele-dich-Spiel. Das ist der sogenannte
`kleinste gemeinsame Nenner'.
Doch fragt man sich, wie es zu einer solchen
plötzlichen Eingebung kommt. Entweder sind Hunde per se gefährlich
oder sie sind es nicht. Allein daran lässt sich erkennen, mit welcher
politischen Willkür derartige Gesetze gemacht werden. Plötzlich, weil
politisch nicht mehr opportun und durchsetzbar, sind 28 Rassen mit
einem Federstrich und wie durch Zauberhand nicht mehr gefährlich, die
vorher angeblich zähnefletschend und mit blutunterlaufenen Augen
Deutschlands Straßen unsicher machten. Aber schließlich leben wir ja
in Zeiten von Harry Potter. Da sind solche Zaubertricks ja gang und
gäbe und ergo wollen auch unsere Politiker, die geistige Elite dieses
Landes (Entschuldigung: Spaß muss sein! ), hier nicht nachstehen.
Ihrem unergründlichen Ratschluss nach und von keiner überflüssigen
Expertenmeinung getrübt, sind es also nur noch 14 Rassen, die sich als
Killerhunde betätigen können. Das ist es also, worauf sich die
Innenministerkonferenz einigen soll.
Man kann nur hoffen, dass ein Land wie Thüringen
standhaft bleibt und sich nicht 14 angeblich gefährliche Hunderassen
aufschwatzen lässt, nachdem es zuvor mit viel gesundem
Menschenverstand erkannt hatte, dass es so etwas nicht gibt. Bleiben
Sie meine Damen und Herren der Thüringer Politik, die letzten
Aufrechten und wehren Sie sich tapfer gegen diesen teuren und völlig
überflüssigen Wahnwitz. Die Millionen können sinnvoller angelegt
werden und glauben sie mir: "Die spinnen die Römer!"
Was ist jedoch mit den Familien, die im Zuge
dieser ganzen unsinnigen Diskussion ihre Wohnung eingebüßt haben?
Können die jetzt ihre lieben Politiker wegen groben Unfugs verklagen?
Und was gedenken Politiker dagegen zu unternehmen, dass es
Wohnungsbaugesellschaften überhaupt nicht mehr zu interessieren
scheint, ob ein Hund auf irgendeiner Liste steht oder nicht; nein, man
wirft gleich alle Hunde, die größer als 40 cm sind, aus den Wohnungen,
und wenn die Besitzer sich von der "Bestie" nicht trennen wollen, dann
diese halt mit. C'est la guerre! Die Wohnungsbaugesellschaften tun im
Prinzip nur das, wofür ihnen die Politik eine Steilvorlage geliefert
hat. Das ist vermutlich das, was sich Politiker heutzutage unter
freier Entfaltung der Persönlichkeit vorstellen, wie sie das
Grundgesetz eigentlich garantiert.
Nach dem Schilyschen Supergau in Sachen Innere
Sicherheit wundert den gemeinen Bürger schließlich gar nichts mehr.
Herrn Schily ist es in kürzester Frist gelungen, sich auf der rechten
Spur selbst zu überholen. Gratuliere! Deswegen wohl auch der Bayrische
Verdienstorden. Dazu fällt mir eigentlich nur ein Zitat von Lenin ein:
Sage mir, wer dich lobt, und ich sage dir, worin dein Fehler besteht!
Wenn sich nun ein Bürger dazu entschließt, die
Gerichte anzurufen, um gegen derart sträflichen Schwachsinn
vorzugehen, dann kann er unter Umständen eine böse Überraschung
erleben. Von der Unabhängigkeit deutscher Gerichte kann eigentlich
niemand mehr ernsthaft überzeugt sein, der einige Urteile der letzten
Monate Revue passieren lässt. Hier sind eindeutig Urteile gefällt
worden, die ganz klar politische Rücksichten nehmen. Auch Richter
werden von bestimmten Parteien auf ihre Pöstchen gehievt. Da muss man
sich dankbar erweisen und kleine Geschenke erhalten bekanntlich die
Freundschaft. Es lebe der Proporz!
Politiker haben es sich in den letzten Monaten
sehr einfach gemacht: Offensichtlich faschistoide Tendenzen in der
Bevölkerung nutzend, hatte man rasch die Hundebesitzer als Sündenböcke
instrumentalisiert. Die autoritäre Persönlichkeit braucht halt was zum
draufschlagen. Das System ist alt: Um von wichtigen Problemen
abzulenken, wie Arbeitslosigkeit, Bildungsmisere, Pflegenotstand und
Staatsverschuldung, begnügt man sich damit, das Volk zu spalten:
Divide et impera! Dazu dient sowohl die Hundeverordnung wie die
Diskussion darüber, ob man stolz zu sein hat, ein Deutscher zu sein
oder nicht- eine Debatte so überflüssig wie ein Kropf- mit Verlaub!
Politik ist heute nur noch auf Außenwirkung
programmiert. Wirkliche Diskussion mit dem politischen Gegner zum
Zwecke der Problemlösung findet nicht statt. Man lässt seinen Sermon
ab und begnügt sich mit etwas, das mein alter Deutschlehrer mit dem
Begriff "geistige Masturbation" zu charakterisieren pflegte. Jede
dieser überflüssigen Spiegelfechtereien im deutschen Bundestag kostet
den Steuerzahler wie viel?
Alle Parteien haben beim Thema HVO in ein Horn
gestoßen, bis auf die FDP und die PDS, wobei die FDP dies erst nach
reiflicher Überlegung getan hat. Nicht dass wir dem Irrglauben
verfallen, irgendjemand in diesem Land täte irgendetwas aus
Überzeugung. Die erste Rede von Herrn Westerwelle nach dem Hamburger
Vorfall war alles andere als von Durchblick geprägt. Im Gegenteil: Man
durfte sich den gleichen infernalischen Unsinn anhören wie bei allen
anderen sogenannten Volksvertretern -mein Gedächtnis funktioniert
noch! Erst nach einigen Beratungen innerhalb der Partei hatte man sich
offenbar eines Besseren besonnen und, fest die Mission 18% im Auge,
hier bei den Hundehaltern ein Wählerpotential ausgemacht. Daraufhin
ließ man, von einigen NRW- Parteigenossen kuschelweich gespült,
Westerwelle wieder auf die Menschheit los und ihn nett lächelnd mit
Dogge posieren.
Den einzigen Lichtblick in diesem Meer von
populistischem Müll in dieser Debatte lieferte Gregor Gysi, der sofort
nach dem Vorfall eine dezidierte Analyse der Situation lieferte,
gemäßigte Problemlösungen andeutete und sich mit keiner Silbe der
Terminologie der Drecksgazetten bediente- und somit ohne lärmende,
effekthascherische Pöbeleien den Stammtisch mit seinem "gesunden
Volksempfinden" komplett ignorierte. Hochachtung!!! Dazu gehört
Courage, sich, bei dieser aufgepeitschten Stimmung, die an Lynchjustiz
erinnerte, eine sachlich fundierte Rede zu leisten, die noch dazu den
eigentlichen Kern des Problems traf: eine erhöhte Gewaltbereitschaft
in der Gesellschaft. Hier wurde der geifernde Mob nicht bedient. Dafür
standen ja auch schon genug andere Politdominas Schlange. Hier war
natürlich jemand mit gesundem Menschenverstand nur der Rufer in der
Wüste. Wie schon gesagt: Spiegelgefechte.
Die FDP und ihr weichgespülter Vorsitzender
fanden im Nachhinein, dass der Einsatz für dieses Thema auch in
anderer Hinsicht lohnend sein könnte. Es kommt bei einigen älteren FDP
-Wählern sicher gut an, sich für alte liberale Tugenden stark zu
machen. Stichworte wie schlanker Staat, wenig Einmischung in die
Privatsphäre von Bürgern, Rechtsstaatlichkeitsprinzipien im weitesten
Sinne fallen einem ein. Fraglich ist jedoch nur, wie ernst solche
Ankündigungen zu nehmen sind. Welche Einflussmöglichkeiten hat die FDP
bei einer Regierungsbeteiligung und wird sie diese überhaupt nutzen?
Der FDP klebte nicht umsonst jahrelang das Etikett der
"Umfallerpartei" an.
Die erste Nagelprobe für die FDP sollte ihre
Koalition mit von Beust und Schill in Hamburg sein. Dort gibt es eine
der schärfsten Hundeverordnungen Deutschlands und gerade erst hat der
ungeliebte Koalitionspartner Schill, von dem man noch vor der Wahl
behauptet hat, nicht mit ihm koalieren zu wollen, ("Umfallerpartei")
dem Partner im Geiste ein rechtes Kuckucksei ins Nest gelegt. Schill
ließ großspurig verkünden, die Tötung von 220 Hunden aus der Hamburg-
Harburger Hundehalle müsse aus Kostengründen bei einer so angespannten
Haushaltslage erwogen werden.
Es folgten natürlich die üblichen eifrigen
Dementis, doch wie sehr sich die FDP ins Zeug zu legen bereit ist,
wird sich weisen. Bis jetzt geht es durch die FDP keinem Hund in der
Hamburg-Harburger Hundehalle besser als vor der FDP
-Regierungsbeteiligung. Kill-Schill und Konsorten, die mit Sicherheit
auch dieser rigorosen HVO zugestimmt hätten, die in diesem Fall noch
die SPD verbrochen hatte, wollen es also sogar noch weiter treiben und
gleich zur Tötung übergehen.
Als typischer Wolf im Schafspelz und geistiger
Brandstifter will man sich der Folgen des eigenen Tuns natürlich
schnell entledigen und sich der Verantwortung entziehen. Tja, liebe
Hamburger FDP, wer mit dem Teufel speist, der muss einen langen Löffel
haben! Sie sollten sich daraufhin ihren neuen Duz-Freund noch einmal
kräftig vornehmen, sonst wird aus der Mission 18% noch eine `Mission:
Impossible'. Ob sich also in Bezug auf die Hamburg - Harburger
Hundehalle etwas tut, daran wird sich die FDP messen lassen müssen.
Aber vielleicht geht es ihr ja wie unserem Kanzler, der sich auch an
einer Zahl messen lassen wollte und der heute mehr an das Adenauer
-Zitat erinnert: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?
Fragt sich ohnehin, ob die abgestumpfte Masse
der Wähler noch durch 220 Hundeleichen zu beeindrucken ist, nach all
den Bildern von Scheiterhaufen, auf denen Tausende von Tierkadavern,
gleich herdenweise, zu Asche verbrennen, um den Marktpreis zu halten.
Tierkadaver, die dann zu dekorativem Baumaterial, sprich zu Ziegeln
verarbeit werden. Wahrhaftig, kann es einen stärkeren Beweis für die
Perversion einer Gesellschaft geben, in der die Devise nicht mehr
lautet `Schwerter zu Pflugscharen`, sondern `Rinder zu Ziegeln'? Armes
Deutschland! Die Wähler, diese Ansammlung von Funsportler, die sich
nur noch mit Hilfe des letzten ultimativen Kicks über die
Trostlosigkeit und Öde des nächsten Tages rettet, vollgebrabbelt mit
dem neuesten Soap-Opera-Geschwätz und zugedröhnt mit einer Musik genau
so monoton und sinnentleert wie ihr Tagesablauf, üben den Tanz auf dem
Vulkan. Aber vielleicht finden sich unter diesen eventsüchtigen
Berieselungsfetischisten noch ein paar Aufrechte, die es schaffen, das
Kreuzchen an die richtige Stelle zu setzen, weil sie es leid sind, die
Abzockerei von Politikern zu dulden, die sich die Taschen füllen mit
Diätenerhöhungen, Übergangsgeldern, hohen Pensionen und Spendenaffären
und anderen mit Leichenbittermine nahe legen, den Gürtel enger zu
schnallen, weil man sonst den Standort Deutschland gefährde.
Aber auch das ist ja nicht neu und schon
Heinrich Heine kannte vor mehr als 150 Jahren diese Art von
Pharisäern: "Sie sang das alte Entsagungslied, das Eiapopeia vom
Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen
Lümmel. Ich kenne die Weise, ich kenne den Text, ich kenn auch die
Herren Verfasser; ich weiß, sie tranken heimlich Wein und predigten
öffentlich Wasser."
Wo waren in diesem ganzen Tierelend eigentlich
die Kirchen? Außer einer einzigen Stimme habe ich niemanden gehört..
Wie wäre es angesichts der schönen neuen Sitte, Tiere zu Baumaterial
zu verarbeiten, die möglicherweise anfallenden Kadaver der toten Tiere
als Christbaumschmuck zu verwenden und sie samt Tanne in den Kirchen
aufzustellen. Wäre das nicht im wahrsten Sinne des Wortes
"besinnlich"? Aber angesichts der Tierfeindlichkeit der Kirchen in
ihrer Geschichte, schließlich hatte man sich im Mittelalter nicht
entblödet, Schweine vor Inquisitionsgerichte zu stellen und Millionen
von Katzen als personifizierte Dämonen auf Scheiterhaufen
hinzumeucheln, - und gute alte Traditionen gibt man schließlich nicht
gern auf- darf man sich darüber vermutlich nicht verwundern, dass die
Kirchen wegen ein paar toter Hamburger Hunde keine moralischen
Bauchschmerzen bekommen, wenn diese unschuldig getötet werden sollen.
Da lädt man doch lieber Bärbel Höhn zur Predigt in die Kirche
(geschehen in Köln)- das nenn ich den Bock zum Gärtner machen! Aber
schließlich hatte man in den letzten Monaten noch ganz andere Kröten
zu schlucken, siehe Afghanistan.
Und auch hier haben die meisten Parteien,
einschließlich der FDP, schmählich versagt. Was ist von einer Partei
zu halten, die nicht klar gegen Krieg Stellung bezieht, an dem einige
wenige wieder kräftig verdient haben (Waffen brauchen schließlich
Einsatzgebiete und 5 Milliarden DM aus Rüstungsexportgeschäften wollen
schließlich verdient sein). Und die paar Toten unter den
Zivilisten, die es erwischt hat, fallen dann wohl wieder unter den
Begriff Kollateralschäden. Irre ich mich oder war das nicht das Unwort
aus dem Balkankrieg? Es gibt keine gerechten Kriege. Wer das nicht
begriffen hat, ignoriert die letzten 4000 Jahre Menschheitsgeschichte.
Herr Grüll ließ sich in Bezug auf die
Hundeverordnung auf einer der letzten FDP -Veranstaltungen mit dem
Satz vernehmen, man könne bei Schäden, wie sie durch scharfgemachte
Hunde entstehen, nicht hergehen und bei unbeteiligten Dritten Haftung
nehmen. Richtig! Vielleicht hätte man sich diese lobenswerte Maxime
auch beim Krieg in Afghanistan zu eigen machen sollen, anstatt auf
moralisch verbrämte Kriegspropaganda hereinzufallen. Anstatt zu
warnen, schwingt man die Fähnchen, versichert seine uneingeschränkte
Solidarität und beeilt sich, den Schulterschluss zu üben. Da kann
einem Amerika richtig leid tun, denn wer solche Freunde hat, braucht
keine Feinde mehr.
In Bezug auf die Wahlen muss man den Wählern
wohl sagen: Die Auswahl ist gering. Die CDU, dieser desolate Haufen,
der nicht mal in der Lage ist, seinen eigenen Ehrenvorsitzenden zur
Raison: sprich zu einer Aussage, zu bringen, scheint weiß Gott keine
Alternative zur derzeitigen Regierung. Also machen Sie, was Sie als
Wähler für richtig halten und wenn nicht das passiert, weswegen Sie
als Hundehalter eine Partei gewählt haben, dann schicken Sie sie beim
nächsten Mal wieder zum Teufel.
Und genau das sollten Parteien wissen.
Wechselwahl ist angesagt. Politische Ideologien
haben sich überlebt und die Mehrzahl der Wähler sieht sehr genau, was
umgesetzt wurde und was leeres Geschwätz geblieben ist. Sie sehen
also, meine lieben Politiker, wie heißt es schon so treffend bei einer
Geschichte von Thurber als Moral von der Geschicht', in der
Rotkäppchen, anstatt sich vom Wolf fressen zu lassen, stattdessen die
Magnum zieht und ihn über den Haufen schießt: It isn't so easy to
fool little girls nowadays like it used to be!
Also dann, meine Damen und Herren aus der Politik:
Make my day!!!
Gegen die Arroganz der Macht!
Bettina Angela Peipe
Gelsenkirchen, den 18.Dezember 2001
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